Mein lieber Jesus
Mein lieber Jesus,
ich sag dir eins: Mit Sprüchen wie „wer Vater, Mutter und seine Kinder mehr liebt als mich“ und „nehmt euer Kreuz auf euch“ und „verliert euer Leben“ – damit kriegst du heute niemand mehr vom Sofa runter. Wie wär‘s denn mit „liebt einander, so wie ich euch liebe“ oder „ich gebe euch ewiges Leben“ oder so was. Ist doch viel besser! „Wer nicht sein Kreuz nimmt und folgt mir, / ist mein nicht wert und meiner Zier“, war noch nie mein Lieblingslied. Ach ja: Meine Familie – die hab ich schon ziemlich gern. Sogar meinen nervigen Neffen. Das musst du verstehen. Überhaupt liebe ich mein Leben – „wer das Leben findet, wird es verlieren und wer es verliert wird es finden“ – damit kann ich nichts anfangen. Lebensmüde bin ich nicht. Vielleicht kommen mal andere Zeiten, aber – Gott bewahre – das solltest du dir nicht für mich wünschen, mein Freund…! Lächelst du gerade oder runzelst du die Stirn? Ich weiß, du hast es nicht einfach mit mir. Ich aber auch nicht mit dir. Und wenn du mich fragst, warum ich denn dein Jünger sein will und dir nachfolgen will, und warum ich überhaupt Priester geworden bin, dann hab ich da gar keine schnelle Antwort drauf. Das müsstest du eigentlich besser wissen als ich. Schließlich warst du es ja, der mich irgendwie irgendwann mal angeschubst hat (glaub ich), und seitdem ist in mir was am Schwingen und lässt mir keine Ruhe mehr. Du könntest übrigens ab und zu gerne mal fester schubsen, damit ich weiß, dass wir noch zusammen unterwegs sind – du und ich. Und mal ganz unter uns: Dir bleibt gar nix anderes übrig – du musst mich und die anderen nehmen, wie wir sind – du findest sonst niemanden. Wetten?
Mach‘s gut, mein Lieber, und meld dich mal wieder.
Trotz allem ganz herzlich, dein Daniel.
Segen
Es segne dich,
die Menschen, die du im Herzen trägst
und die Wege, die du gehst
Gott, dem du mal deine Meinung geigen kannst:
der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.
Amen.