Gott malt

Gott malt. Er ist ein Künstler. Kunstkritiker sagen, er sei verschwenderisch. Er trage zu dick auf: Klatschmohnrot, Lagunentürkis, Neongrün, Käsekuchengelb und Eisbärweiß. Impressionistisch, expressionistisch, naiv – da will er sich nicht festlegen. Er malt die Zugspitze, den Elbstrand, den Pfälzerwald und die russische Tundra. Einzeller, Viren, Bakterien und Lebewesen, die in 8.000 Metern Tiefe im Meer schwimmen. Ein paar von ihnen streicht er sogar farbig an, obwohl das eigentlich ziemlich unnötig ist. Gott macht es trotzdem. Morgens, nach seinem Rundgang durch die Lavendelfelder in der Provence und seinem Sprung über die chinesische Mauer zeichnet er seine Nachtträume auf (wenn er sich noch erinnert). Ein Tyrannosaurus verschwindet, das Huhn erblickt das Licht der Welt. Und das Dreifingerfaultier. Gott findet, am wenigsten gelungen ist ihm der Mensch. Irgendwie blass und hilflos. Deswegen macht er noch einen. Und noch einen. Und Hunderte und Tausende, Millionen und Milliarden. Einige gucken ihn erstaunt an, andere schauen auf die Erde, und manche sind rothaarig und haben Sommersprossen. Menschen lieben Menschen. Gott ist überrascht, wie viele Möglichkeiten es da gibt und denkt sich: Die Liebe ist ein seltsames Spiel. Und er lächelt: Menschen! Menschen schlagen Menschen den Kopf ab. Gott kratzt sich am Nacken, hat die kurze Idee einer Sintflut, verwirft sie aber wieder. Manche Menschen übermalt er, um Platz zu haben für noch mehr. Für die, die von der Bildfläche verschwinden, malt er ein neues Bild. Eine neue, ganz andere Welt denkt er sich aus. Ohne Spinnen. Und ohne Tränen und Geschrei. Dafür ist hier ohnehin kein Platz mehr. Stattdessen gibt es eine lange Tafel, mit Essen und Trinken und Musik und klaren Worten. Man hat sich viel zu sagen. Wölfe und Lämmer, die miteinander kuscheln. Löwen, die Heu fressen. Und Säuglinge, die an der Giftschlangenhöhle spielen.